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Wieso Frauen in Führung gehen werden

Hamburg (btn) – Interview Anders Indset, einer der weltweit führenden Wirtschaftsphilosophen.

Noch immer ist die Zahl der Frauen in den Führungsetagen überschaubar. Was macht Sie so sicher, dass sich das ändern wird?

Anders Indset: Die Digitalisierung im Arbeitsmarkt setzt ein vollkommen neues Selbstverständnis von Führungskräften voraus. Es werden Führungskräfte benötigt, die Empathie, Teamorientierung, Intuition, Selbstkontrolle und Verantwortungsbewusstsein mitbringen. Alles Eigenschaften, die bei Frauen ausgeprägter sind, wie auch die Wissenschaft bestätigt. Frauen sind damit die Gewinnerinnen des Arbeitsmarktes im 21. Jahrhundert. An den Universitäten erleben wir talentierte Frauen mit hervorragenden Abschlüssen, die bald in den Beruf einsteigen werden. Auch in den Unternehmen finden wir in den wichtigen Positionen der Zukunft zunehmend Frauen, wie z.B. als „Chief Digital Officer“ oder „Chief Communication Officer“. Das sind die Vorstände von morgen. Natürlich herrscht in den “Top-Etagen” noch eine Schieflage, denn die sind meist noch besetzt von 55-jährigen männlichen Vorständen und nicht von 29-jährigen Frauen. Aber das ist alles eine Frage der Zeit.

Sie sprechen von grundsätzlichen Veränderungen in der Arbeitswelt. Welche genau meinen Sie?

Ich beobachte eine Phase der Aufklärung, was unsere Einstellung zur Arbeit anbelangt. Wir erleben, dass Titel und Rollen ihre Bedeutung verlieren und dass Arbeit und Privatleben zunehmend verschmelzen. Worte wie “Job”, “Arbeitnehmer” und “Arbeitgeber” werden in Zukunft aus unserem Vokabular verschwinden. Die Menschen werden zukünftig häufiger zwischen Angestellten, Freelancern und Unternehmern wechseln und/oder mehrere dieser Rollen gleichzeitig einnehmen. Die Technologie unterstützt uns dabei, singuläre Verantwortlichkeiten an zum Teil maschinen-generiertes Vertrauen zu delegieren.

Wir kreieren keine künstlichen Stufen von Hierarchie und Abstand mehr, sondern öffnen uns für eine echte Zusammenarbeit. Das bedeutet u.a., die “Sie-Anrede” wird in den nächsten Jahren komplett verschwinden. Die “Rolle” einer Person wird die aktuelle Aufgabe sein, der neue “Chef” ist das Projekt. Denn immer mehr Aufgaben, die heute von Menschen erledigt werden, übernehmen in Zukunft Maschinen, allen voran das Organisieren. Dies alles setzt ein vollkommen neues Selbstverständnis von Führungskräften voraus, da für Steuerung, Transparenz und Vertrauen in Zukunft die Technologie sorgen wird.

Manager werden also bald kaum noch gebraucht?

Manager im klassischen Sinne werden überflüssig. Umso dringender werden aber Führungskräfte benötigt, die Teams auf eine integrierende Weise “führen” oder besser gesagt “vereinen” können. Es geht um Vertrauen, Ganz-Herzlichkeit, Offenheit und Gefühle. Die sogenannten “Soft-Skills” werden die echten “Hard-Skills” werden. Ich bin mir sicher: Auf lange Sicht werden Unternehmen erfolgreich sein, die intern den Zusammenhalt fördern und echte Beziehungen zu ihren Mitarbeitern aufbauen. Empathie, Verletzlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und Selbstkontrolle, Multitasking und Kommunikation, soziale Interaktion und ein integrierendes Wesen anstelle eines stark kompetitiven Verhaltens sind nur einige der neuen Fähigkeiten, die Führungskräfte beherrschen müssen.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass gerade solche Unternehmen, die auf Werte wie Emotionen und Empathie setzen, von der Konkurrenz abgehängt werden?

Wir erleben heute bereits, dass vermeintliche Konkurrenten sich nicht immer als Feinde begreifen, die es zu besiegen gilt, sondern dass sie sich je nach Situation immer wieder zusammentun, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. In Zukunft wird dies noch viel stärker der Fall sein. Immer wieder erlebe ich in meinen Gesprächen mit Führungskräften und Politikern, dass viele von ihnen, sogar auf den höchsten Ebenen, ein aus meiner Sicht falsches Bild von Wirtschaft haben: Es geht in Wahrheit nicht um Gewinnen oder Verlieren. Es ist wichtig, möglichst lange mitzuspielen. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Unendlichkeit. Die Wirtschaft funktioniert nicht wie ein Fußballspiel über 90 Minuten mit einer gleichen Anzahl von Spielern und fest definierten Regeln. Die Wirtschaft ist merkwürdig, unvorhersehbar und vor allem interdependent. Sie ähnelt also viel mehr den Prinzipien der Quantenphysik als unserer starren Projektion von linearen Modellen. Aus diesem Grund macht es auch keinen Sinn, Wirtschaft als rein kompetitive Thematik zu begreifen, als einen Kampf “wir gegen die anderen”. Die einzig logische Schlussfolgerung ist ein integrierendes, gesamtheitliches Denkmodell. Übrigens ist gerade diese Denkweise auch eine essentiell weibliche.

Unternehmen werden also immer “weiblicher” – was bedeutet das im Umkehrschluss für die Männer?

Nichts wird mehr so sein wie es war: Noch bis vor wenigen Jahrzehnten waren Männer weitgehend unter sich. Frauen hatten, wenn überhaupt, nur relativ unbedeutende Positionen. Man konnte erfolgreiche Unternehmen basierend auf “Muskeln” und “Kraft” aufbauen – bis heute repräsentiert durch einen sehr maskulinen Habitus, der sich bis in die Gegenwart in den Chefetagen gehalten hat. Männer waren lange nicht nur aufgrund ihrer schieren Kraft im Vorteil. Sie waren vor allem im Überschuss, weil sie durch bessere Bildungschancen Zugang zu Informationen hatten. Sie blieben also auch aufgrund ihres Bildungsvorsprungs unter sich. Und diese rein männlichen Strukturen wiederum haben den teilweise recht archaischen Umgang miteinander, die typisch männliche Hierarchiestruktur basierend auf Macht und Überlegenheit, das Verständnis der Wirtschaft als Spiel – oder gar Krieg – ums Gewinnen oder Verlieren und damit die gesamten Werte und die Ziele in den Unternehmen geprägt. Aber diese Zeiten sind vorbei, jetzt folgt die Zeit der Intelligenz. Das Rad lässt sich nicht mehr zurück drehen. Heute ist der Zugang zu Informationen für alle gegeben, der männliche Bildungsvorsprung ist längst verflogen. Jeder hat heute mit seinem Handy mehr Zugang zu Informationen als ihn z.B. ein Harry Truman als Präsident der Vereinigten Staaten in den 50er Jahren hatte. Die Männer haben ihre Machtdomäne verloren, über die sie sich seit jeher definiert haben und Frauen erobern selbstbewusst Bereiche, zu denen sie jahrhundertelang keinen Zugang hatten. Das werden große Herausforderungen für junge Männer. Wir werden uns um sie sorgen müssen. Denn dass die Frauen ihren Weg gehen, das beweisen sie uns ja gerade. Wir brauchen dringend ein neues männliches Selbstverständnis, das nicht mehr auf den immer obsoleter werdenden tradierten Werten beruht.

Bedeutet das, dass die Ungleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt, die von so vielen kritisiert wird, in Ihren Augen bereits gar kein echtes Problem mehr ist?

Das Geschlechterproblem ist bei weitem nicht gelöst. Noch immer haben Frauen – zumindest in Deutschland – mit Nachteilen zu kämpfen, die ihnen den Weg nach oben erschweren oder ganz verschließen. Wenn eine Frau z.B. im Alter zwischen 30 und 35 wegen der Geburt eines Kindes nicht arbeitet, fehlen ihr 5 Jahre Praxiserfahrung und Entwicklung im Unternehmen. Denn Führung entsteht nicht über Nacht. Insbesondere zwischen 30 und 40 Jahren ist typischerweise die Zeit, in der heute die zukünftigen Vorstände „geformt“ werden. Also genau die Zeitspanne, die Frauen fehlt, wenn sie sich um die Kinder kümmern. Hinzu kommt, dass Märkte und Technologie sehr schnell und dynamisch sind. Wenn man da nicht „am Ball“ bleibt, ist es natürlich eine enorme Herausforderung, in den Arbeitsmarkt wieder hineinzukommen. Wir müssen es Frauen also ermöglichen, nicht zwischen Karriere und Kind wählen zu müssen, sondern beides zu vereinbaren.


Anders Indset
Anders Indset

Über den Autor: Anders Indset ist einer der weltweit führenden Wirtschaftsphilosophen und ein vertrauter Sparringspartner für internationale CEOs und politische Führungskräfte. Von den Medien als „Rock’n’Roll Plato“ bezeichnet, ist er mit seinem Ansatz zur praktischen Philosophie einer der gefragtesten Keynote-Speaker in Europa.

Jens Breimeier
Jens Breimeier
Jens Breimaier kümmerte sich im Business.today Network um Redaktion und Business Development. Er hat über 20 Jahre Erfahrung im Publishing- und Mediabusiness, u.a. Burda, Verlagsgruppe Milchstraße und Vibrant Media: "Ich arbeite mit Brands, Agenturen, Startups und Publishern im Online-Business und unterstütze sie beim Wachstum ihres Geschäfts sowie beim Aufbau von Know-How und Netzwerken. Meine Erfahrung als Business Developer und im Publishing, sowie bei der Umsetzung von komplexen Aufgabenstellungen geben mir eine fachliche Basis und Kompetenz, die ich weiter geben möchte."
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