Nachbericht zur 10. SVP-Fachtagung Market Intelligence
Mehr als 130 Teilnehmer aus ganz Deutschland fanden sich zur 10. SVP-Fachtagung Market Intelligence in der Print Media Academy ein. Renommierte Wissenschaftler und Experten aus der Wirtschaft erörterten mit den Teilnehmern, wie man in unsicheren Zeiten mit Risiken und Unsicherheit im Tagesgeschäft professionell umgehen kann und welche Strategien – wissenschaftlich bewiesen – besonders nützlich sind.
Gute Entscheidungen trotz unsicherer Datenlagen
Auch in diesem Jahr lud SVP Vorstand Tim Brouwer die Market Intelligence Community und die Entscheider, die Market Intelligence für ihre Arbeit nutzen, nach Heidelberg ein, um ein weiteres relevantes Thema der Branche aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und hohen Nutzen zu stiften: Risiko und Unsicherheit.
Für einen professionellen Umgang mit Risiken
„Wir haben in der Schule viel Mathematik gemacht, Sie erinnern sich vermutlich an Wahrscheinlichkeit, Statistik, Stochastik. Was wird jedoch alle nicht haben und auch nicht gelernt haben, ist ein gutes Gefühl für Risiko und Wahrscheinlichkeiten zu entwickeln. Das wäre aus meiner Sicht viel wichtiger“ eröffnet SVP Vorstand Tim Brouwer die Fachtagung. Wie wenig routiniert wird darin sind, zeigt er am Beispiel der Wetter-Apps. Da steht „Regenrisiko 50%“ – was aber nun heißt das genau? Heißt es, dass es nun 50% der Zeit regnen wird, heißt es, dass bei 50% Regenwahrscheinlichkeit vielleicht doch nur 1 Tropfen in dem angekündigten Zeitraum fällt? Was genau heißt das?
Brouwer moniert die Unprofessionalität der deutschen Wirtschaft im Umgang mit „Risiko und Unsicherheit“. „Die amerikanische Gesellschaft ist uns – was die Wirtschaftskraft anbelangt – unterlegen, ihre Infrastruktur marode und doch können sie mit uns mithalten und uns überholen, weil sie Risiken eingehen. Unsere Fachtagung will Ihnen heute Impulse geben, Ihre Risikobereitschaft zu trainieren.“
Was einst die Krake Paul bei der Fußballweltmeisterschaft anno 2010 an Prognosen leistete – nämlich als Fußball-Orakel in 7 von 8 Fällen richtig zu liegen – lässt vermuten, dass es nicht zwingend eine vollständige Datenlage braucht, um zu sicheren Ergebnissen und guten Entscheidungen zu gelangen. Wohl aber gibt es Faktoren und Vorgehensweisen, die dazu beitragen, eine gute Entscheidungsgrundlage zu liefern. Und die wurden in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Experten in Heidelberg erörtert.
Key note 1: Dr. Florian Artinger
„Risiko – Welche Strategien funktionieren bei Unsicherheit … und wie?
Der pragmatischen Umgang mit der Ungewissheit
Dr. Florian Artinger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin) präsentierte Erkenntnisse aus der Wissenschaft, die illustrieren, wie Menschen Entscheidungen treffen, wenn sie viel oder wenig über die Risiken wissen. Wie können wir dennoch gute Entscheidungen treffen, auch wenn wir uns nur bedingt auf Prognosen verlassen können oder eine unsichere Datenlage haben? Entscheiden wir anders oder besser, wenn alle Alternativen, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt sind?
Am Beispiel der Prognose zum Wechselkurs EUR/US Dollar erläutert Artinger, welche Prognosen Banken in den Jahren 2001 bis 2011 zum Wechselkurs abgegeben haben und wie wenig zuverlässig diese waren. Wie also können wir den Wert unseres Geldes einschätzen und gute Entscheidungen treffen, wenn wir uns nur bedingt auf Prognosen verlassen können?
Heuristisches Denken – Lernen von der Blickwinkel-Heuristik
Komplexe Probleme erfordern nicht zwangsläufig komplexe Lösungen. Der Wissenschaftler aus Berlin erläutert an mehreren Beispielen, wie hilfreich heuristisches Denken sein kann, denn es beruht auf Faustregeln und die nur wenige Informationen benötigen um effektiv zu funktionieren. Das hilft schneller zu entscheiden. Artinger illustriert anhand der Blickwinkel-Heuristik, warum heuristisches Denken für Entscheidungen auf Basis unsicherer Datenlage hilfreich sein kann. Versucht ein Baseball-Spieler, einen vom Gegner hoch geschlagenen Ball zu fangen – berechnet er dafür genau die Flugbahn des Balls? Denkt er über Anfangsentfernung, die Geschwindigkeit und den Winkel des Balls, den Wind und den Luftwiderstand nach? Selbstverständlich nicht! Der Spieler greift, so Artinger, meist unbewusst auf eine Heuristik, eine Faustregel, zurück: Fixiere den Ball und passe deine Laufgeschwindigkeit so an, dass dein Blickwinkel zum Ball konstant bleibt. Faustregeln dieser Art können es uns ermöglichen, blitzschnell und intuitiv zu entscheiden und zu handeln. Als prominentes Beispiel dazu führt Artinger die Notwasserung des US-Airways-Flug 1549 anno 2008 im Hudson River – eine Meisterleistung des Flugkapitäns – an. Der Pilot antwortete auf die Frage nach der Landebahn im Funkkontakt mit einem „Wir werden im Hudson sein.“ Er hatte sich aufgrund der zu geringen Flughöhe zu einer Notwasserung entschlossen und dabei immer darauf geachtet, den gleichen Abstand zwischen Flugzeugschnauze und Fluss im zu bewahren, um im richtigen Winkel möglichst sanft auf dem Wasser zu landen.
Einfache Regeln performen oft besser als komplexe Regeln
Weitere Beispiele aus der Bankenwelt und dem Automobilmarkt zeigen anschaulich, warum große Datenmengen nicht zwangsläufig die bessere Entscheidungsgrundlage sind. Dies gilt gleichermaßen für Anlagestrategien in der Finanzwirtschaft wie auch für die Prognose von Kundenzahlen und Marktvolumen im Marketing. Dort ist die Distanz-Heuristik ein einfaches und aussagekräftiges Tool, in dem man die Zeit der Kunden seit dem letzten Einkauf zurate zieht statt komplexer Algorithmen die auf deutlich mehr Daten und Variablen zurück greifen müssen.
Artinger räumt in seinem Vortrag auf mit weitverbreiteten und kostspieligen Irrtümern: Mehr Information, Berechnung und Zeit führen nicht immer automatisch zu besseren Ergebnissen, ganz im Gegenteil. Und weist darauf hin, dass sorgfältig zwischen Risiko und Unsicherheit unterschieden werden muss. Risiko bedeutet, genau zu wissen, was passieren wird. Unsicherheit bedeutet, nicht zu wissen, was passieren wird und dennoch eine Entscheidung zu treffen. Und meist wird in der Wirtschaft von Risiko gesprochen und Unsicherheit gemeint.
Hier klinkt sich nun auch die Market Intelligence wieder ein: Robuste Entscheidungsstrategien basieren darauf, nachzufragen, was an der Fragestellung des jeweiligen Fragestellers interessant ist. Denn daraus ergeben sich die Finde- und Evaluationsprozesse der Informationen und Daten, die für eine Entscheidungsfindung relevant sind und nicht das berühmte „Rauschen“ verursachen.
Risikokultur im Unternehmen schaffen
Im Plenum wurden die unterschiedlichen Heuristiken angeregt diskutiert. Um als Unternehmen in unsicheren Zeiten mutige Entscheidungen treffen zu können, bedarf es einer Risikokultur im Unternehmen. Diese muss von der Führungsspitze bewusst geschaffen werden und kann nur selten vom Einzelnen im Unternehmen ausgehen. Die Heuristik zeigt: Schafft man dieses Umfeld, führt dies sehr konkret zu mehr Risikofreude im Unternehmen.
Key note 2: Prof. Dr. Gunter Dueck
Risiko – Heuristik – Dogma: Wie man bei unvollständiger Information gute Entscheidungen trifft und wie man es vermasseln kann.“
Gunter Dueck – Wild Dueck – beginnt seinen Vortrag mit einer pragmatischen Handlungsempfehlung: „Beschäftigen Sie sich lieber mit Intuitionsfehlern, das ist heilsamer und nützlicher als Regeln zu entwickeln.“
„Wir glauben Dinge, die nicht stimmen.“
In seinem Vortrag zeigt Dueck Beispiele aus seiner Beratungspraxis und illustriert anschaulich, wie wenig sinnvoll das sture Befolgen von Regeln und Formeln sein kann. Sein Beispiel aus der Praxis: Das überarbeitete Werkstätten-Konzept eines Automobilherstellers. Dieses endete beinahe in einer Katastrophe, weil ein Rechenfehler bei den strategischen Überlegungen nicht bemerkt wurde. So dachte der Autohersteller, die Service-Richtlinien neu zu justieren. Und mutete seinen Kunden zu statt 30 Minuten eben 60 Minuten in die Anreise zu investieren, um eine Vertragswerkstätte zu erreichen. Intuitiv nahm man an, dass durch die Verdoppelung der Anreisezeit die Hälfte der Werkstätten geschlossen werden kann. Dueck“s mathematische Intervention mit der Formel Pi mal r² ergab, dass man aufgrund des vierfachen Umkreisradius nicht die Hälfte, sondern der Werkstätten zu schließen hat. Berücksichtigt man dann noch den Autobahneffekt, stellte sich heraus: 90% der Werkstätten können geschlossen werden und dennoch braucht jeder Kunde maximal 1 Stunde, um bei einer Vertragswerkstätte zu sein. Eine gute Bilanz für die BWL-Brille, doch unter Servicegesichtspunkten eine Katastrophe für die Kunden. Für die Werkstätten ganz zu schweigen.
„Regeln taugen nicht in unsicheren Kontexten“
„Wenn sich alle verschätzen, macht es nichts, es konnte ja keiner wissen. Wenn man sich als Einzelner verschätzt, wird es gefährlich.“ Dueck plädiert für ein permanentes Abgleichen und Hinterfragen der Kontexte, in denen man agiert. Passen die Kontexte noch, in denen die Regeln entstanden sind? Gilt es die Regeln zu prüfen und zu aktualisieren? Für den Mathematiker ist klar: In Zeiten des Umbruchs muss man weg von Gesetzen, Regeln und Formeln und das Gelernte / Erprobte in Frage stellen. Stattdessen explorieren, ausprobieren, lernen und Heuristiken bilden. Entscheidend ist zu eruieren, in welcher Stufe der Aushärtung des Gelernten sich die Ungewissheit und die Unsicherheit befindet.
Stures Pochen auf Anwenden ehemals erprobter Regeln ist wenig nützlich in unsicheren und volatilen Zeiten. Als Paradebeispiel führt Dueck die Maastricht-Kriterien an, die den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Euroländer gewährleisten sollen. Jeder Staat darf jedes Jahr 3% Neuverschuldung machen. Doch wie berechnet man das korrekt? Strenggenommen müssen diese Regeln regelmäßig überprüft und mit den Kontexten abgeglichen werden. Die aktuelle Situation in der EURO-Zone lassen Rückschlüsse darauf zu, dass hier veraltete Regeln in Kontexten angewendet wurden, die es so damals bei der Regelerstellung noch nicht gab.
„Regeln brauchen Zeit und Infrastruktur. Der Meister macht das nach Gefühl.“
Dueck“s Plädoyer: Regeln sollten immer dann zum Einsatz gebracht werden, wenn es einen langsamen evolutionären Wandel gibt, wo man Zeit hat, Erfahrungen zu sammeln und Infrastrukturen aufzubauen und zu nutzen. In Zeiten des Umbruchs und des Wandels hingegen sollte man besser auf Regeln verzichtet, denn dann ist zu wenig Zeit für das Erfahrungen sammeln und strukturieren und das Regelfolgen artet oft in einer heroischen Tat aus und bremst aus.
Verschiedene Arten des Wandels erfordern nach Dueck auch verschiedene Herangehensweisen an das Thema Innovation: Wann braucht es die Statistik, wann die pedantische Ingenieursarbeit, wann ein pragmatisches „Das tut“s.“ und wann die Tatkraft, Infrastrukturen zu verändern und an Altem zu rütteln? Dazu braucht es natürlich auch unterschiedliche Menschentypen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen.
In Duecks Schlussplädoyer kommt dann auch das Thema Exzellenz auf die Agenda: Meisterschaft und Exzellenz zeichnen sich dadurch aus, dass Regeln, Heuristiken und Intuitionsfehler ausprobiert werden und dann ganz einfach nach Gefühl gehandelt wird, denn: „Der Meister macht das nach Gefühl.“
Hinweis: Sie interessieren sich für neue Handlungsimpulse und Strategien für das Entscheiden und Agieren in unsicheren Zeiten und bei unsicherer Datenlage? Die vollständigen Key Note Vorträge können Sie per Mail bei [email protected] anfordern. EInen TV-Bericht zur Tagung finden Sie unter http://www.rnf.de/mediathek/video/schaufenster-zehnte-fachtagung-der-svp-deutschland-ag-in-heidelberg/
Die SVP Deutschland AG mit Sitz in Heidelberg ist Gründer der Market Intelligence in Deutschland und seit 1987 bundesweit in allen Branchen und Märkten aktiv. Fach- und Führungskräfte aller Branchen nutzen die Services von SVP für alle Fragen zu Märkten, Unternehmen und Produkten. für Eckdaten und strategische Analysen zu jedem Bereich eines Unternehmensumfeldes.
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