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Arbeit in Zeiten der intelligenten Automatisierung

Hamburg (btn/Gastbeitrag von Wael Elrifai, VP Hitachi Vantara) – Einer kürzlich durchgeführten Studie zufolge fürchten drei Viertel der Briten den Abbau von Arbeitsplätzen. Dabei zählt die Automatisierung zu den größten Sorgen, was nicht allzu sehr überrascht, denn in der Öffentlichkeit herrscht ein falsches Bild von künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung. Selbst Techniker sind sich nicht einig darüber, wie Arbeitsplätze in den kommenden Jahrzehnten angesichts des derzeitigen Innovationstempos aussehen werden. Klar ist aber, dass sich Unternehmen diesen schwierigen Fragen gerade jetzt stellen müssen. Die Gesellschaft muss transparent und realistisch über die Folgen von KI diskutieren und darüber, welche Faktoren letztlich das Leben der nächsten Generation prägen werden.

Wael Elrifai ist VP, Digital Insights Solution Engineering bei Hitachi Vantara und außerdem als Buchautor und öffentlicher Redner im Bereich AI & IOT tätig

Automatisierung vs. KI

Beim Thema Automatisierung müssen zwei verschiedene Ausprägungen unterschieden werden. Auf der einen Seite steht die klassische Automatisierung, auf der anderen die künstliche Intelligenz – beide Begriffe sind nicht unbedingt gleichbedeutend miteinander, auch wenn sie häufig austauschbar verwendet werden. „Im Laufe der nächsten zehn Jahre werden Roboter etwa 20 Millionen Fabrikarbeitsplätze ersetzen“ (BBC) – dabei handelt es sich um Automatisierung. Physische Maschinen ersetzen den menschlichen Körper bei manuellen Aufgaben. Geht man davon aus, dass Roboter billiger in der Wartung, effizienter und genauer als Menschen sind, ergibt es Sinn, dass sie uns bei vielen manuellen Aufgaben ablösen. Arbeitsplätze mit höherem gesellschaftlichem Prestige hingegen – also die Ärzte und Anwälte dieser Welt – können nicht ohne Weiteres durch Maschinen ersetzt werden. Aber stimmt diese Schwarz-Weiß-Ansicht?

Ein interessantes Beispiel gibt Tesla. 2018 erkannte Elon Musk, dass sein Versuch, die Tesla-Produktionslinie vollständig zu automatisieren, ein eklatanter Misserfolg war – anstatt die Effizienz zu erhöhen, haben die Roboter den Prozess verlangsamt. Er kommentierte das mit den Worten: „Der Mensch wird unterschätzt“. Werden Maschinen demzufolge überbewertet?

Es gibt viele Dinge, in denen Maschinen nicht so gut sind wie Menschen – und viele davon sind eigentlich Handarbeit. Solange wir keinen funktionstüchtigen, humanoiden Roboter wie das Hausmädchen aus den „Jetsons” haben, werden menschliche Haushälterinnen nicht automatisiert werden. Und angesichts der klobigen, ungeschickten Roboterarme, die es heute gibt, sind wir davon ziemlich weit entfernt.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Zahlreiche Fabrikarbeiter werden verdrängt werden, vor allem da die Roboter immer billiger und ausgeklügelter werden. Aber das ist nicht die Art von Automatisierung, über die wir uns am meisten Sorgen machen sollten, denn sie ist nichts Neues. Seit der industriellen Revolution haben Menschen Arbeit an Maschinen ausgelagert. In diesem Zeitraum ist die Zahl der Arbeitskräfte weltweit von etwa einer Milliarde auf 3,5 Milliarden gestiegen. Trotz jahrzehntelanger Automatisierung und Innovation ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Welt bislang also stets angewachsen.

Die neue Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist die intelligente Automatisierung – also künstliche Intelligenz. Wie lange werden wir noch menschliche Onkologen brauchen, wenn eine KI Krebs mit nahezu absoluter Genauigkeit erkennen kann? Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz werden viele der traditionell als „hochqualifiziert“ bezeichneten Berufe nicht mehr unbedingt in menschlichen Händen bleiben.

Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine

Die entscheidende Frage ist also: Was können Maschinen, was Menschen nicht können? Immer, wenn wir über die Automatisierung von Arbeitskräften sprechen, läuft es letztlich auf diese Frage hinaus. Es gibt zwei Möglichkeiten, sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern: kurzfristig oder langfristig.

Die KI, mit der wir es heute zu tun haben, ist nicht Skynet. Mit anderen Worten: Künstliche allgemeine Intelligenz ist noch weit entfernt. Wenn wir diese erreichen – und die Frage ist wann, nicht ob – wird dies unsere Wirtschaft in einer Weise umkrempeln, die aktuell niemand wirklich überblicken kann. Aber solange keine KI entwickelt wird, die menschliche Intelligenz ersetzt, wird die Beziehung zu Maschinen sich nicht grundlegend ändern.

Wenn sich heute ein Fahrgast dazu entschließt, ein Taxi zu bestellen, wird dies immer noch einen menschlichen Fahrer haben, es handelt sich also um eine Mensch-Maschine-Partnerschaft. Zwar gibt es Autos, die automatisch bremsen oder einparken können, eventuell wird sogar der menschliche Fahrer in naher Zukunft aus dem Spiel genommen. Aber es werden dann immer noch Taxis genutzt. so dass die Mensch-Maschine-Interaktion Bestand hat. Der Punkt ist, dass das Auto (oder jede Maschine) dazu da ist, einem menschlichen Zweck zu dienen – in diesem Fall, einen Fahrgast von A nach B zu transportieren.

Dasselbe gilt für die KI (jedenfalls in der Form, in der sie heute existiert). Genau wie jede andere Maschine ist sie ein Werkzeug, das Menschen einen Service bietet. Es ist kein emotionaler, empathischer künstlicher Verstand, sondern einfach ein System, das sich vergangene Entscheidungen ansieht, um daraus Ergebnisse für die Zukunft abzuleiten. Also ja: KI könnte wahrscheinlich Onkologen in der Analyse ersetzen – aber wohl kaum die menschlichen Krankenschwestern, die für die Versorgung und das Wohlbefinden der Patienten verantwortlich sind.

Geist schlägt Maschine

Welche Folgen hat dies? Wie bereits erwähnt handelt es sich bei den meisten Prognosen über die Zukunft der Arbeit in einer automatisierten Gesellschaft um Vermutungen. Wir wissen einfach nicht, wie das Ergebnis am Ende aussehen wird. Aber das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache. Es bedeutet, dass unser Schicksal nicht besiegelt ist. Es lässt Raum, Fragen zu stellen, welche sich die Menschheit zu keinem anderen Zeitpunkt der Geschichte stellen konnte. Während die KI immer besser darin wird, bisher menschliche Aufgaben zu automatisieren, wird sie die Menschen in die Lage versetzen, zu ergründen, was es bedeutet, menschlich zu sein. Was macht uns unersetzlich?

Und das lässt Raum für eine Entscheidung: Wollen wir in einer voll automatisierten Welt überhaupt noch arbeiten? Im Laufe der Geschichte haben die Menschen immer gearbeitet, um zu überleben. Intelligente Automatisierung könnte die Arbeit zu einer bewussten Entscheidung machen. Was wollen wir von der Automatisierung? Hier geht es nicht um Science Fiction und eine ferne Zukunft. Wahrscheinlich wird sich bereits die nächste Generationen damit befassen müssen. Und der Grundstein dafür wird heute gelegt.

Das ist eine monumentale Entscheidung, die nicht in den Händen einiger weniger liegen kann und darf. Ganz sicher nicht nur bei den Technologieunternehmen, obwohl diese sich natürlich lautstark in das Gespräch einschalten werden und sollen. Techniker, Pädagogen, Psychologen und politische Entscheidungsträger müssen ihre Köpfe zusammenstecken und überlegen, wie sich das Humankapital messen, die menschliche Leistung verbessern und die Gerechtigkeit in einer automatisierten Zukunft sicherstellen lassen.

Die gute Nachricht ist, dass dies es schon losgeht. Es gibt bereits Gremien wie die „All Parlamentary Group on AI” und die Europäische Union veröffentlicht jährlich die EU-Leitlinien für Ethik in der KI. Auch Hitachi ist stark in diese Gespräche involviert und hat mit dem Weltwirtschaftsforum, der Alliance for IoT Innovation und vielen anderen zusammengearbeitet, um daran mitzuwirken, dass die Welt durch Technologie besser und nicht schlechter wird.

Eine berühmte Zeile aus dem Terminator-Film passt sehr gut auf die aktuelle Situation: „There’s no fate but what we make for ourselves”, was etwa mit „Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand” übersetzt werden kann. Einverstanden?


Über den Autor: Wael Elrifai ist VP, Digital Insights Solution Engineering bei Hitachi Vantara und außerdem als Buchautor und öffentlicher Redner im Bereich AI & IOT tätig. Der diplomierte Elektroingenieur und Volkswirt ist Mitglied der Association for Computing Machinery, der Special Interest Group for Artificial Intelligence, der Royal Economic Society und des Royal Institute of International Affairs.

Jens Breimeier
Jens Breimeier
Jens Breimaier kümmerte sich im Business.today Network um Redaktion und Business Development. Er hat über 20 Jahre Erfahrung im Publishing- und Mediabusiness, u.a. Burda, Verlagsgruppe Milchstraße und Vibrant Media: "Ich arbeite mit Brands, Agenturen, Startups und Publishern im Online-Business und unterstütze sie beim Wachstum ihres Geschäfts sowie beim Aufbau von Know-How und Netzwerken. Meine Erfahrung als Business Developer und im Publishing, sowie bei der Umsetzung von komplexen Aufgabenstellungen geben mir eine fachliche Basis und Kompetenz, die ich weiter geben möchte."
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